Es darf nicht sein, was nicht sein soll

Auf der einen Seite könnte ich mich schämen aus Sachsen, speziell aus dem Erzgebirge zu kommen, dort geboren worden zu sein, aber das habe ich mir nicht herausgesucht. Das ist auch ein Grund, warum ich Nationalstolz oder selbst Patriotismus nicht verstehe. Das geht für mich so weit, dass ich bei einem Boxkampf (zum Beispiel) nur richtig mitfühle, wenn ich im Ring stehe oder jemand, zu dem ich ein persönliches Verhältnis habe. Schwieriger wird es, wenn die Gruppe größer wird. Bei Mannschaftssportarten ist das noch schwieriger. Da kann ich auch als Spieler schon stolz auf die Mannschaft sein, wobei das nicht heißt, dass ich mit der Meinung aller als Mensch übereinstimme. Sobald ich keinerlei persönliche Beziehung zu einem Spieler in einer Mannschaftssportart habe, schalte ich komplett ab. Kein Interesse.

An dieser Stelle möchte ich gerne ein paar Erfahrungen wiedergeben. Ich habe 8 Jahre meines Lebens in Shanghai verbracht. Meine gesamte Jugend verbrachte ich im Erzgebirge und dann nach der Rückkehr aus China noch einmal knapp 2 Jahre.

In China bin ich ein Einwanderer. Hier bin ich ein Ausländer. Einer von ganz, ganz wenigen. Einer von knapp einer Million in einem Land von 1,3 Milliarden Menschen (vielleicht mehr, aber ich möchte mich nicht tiefer mit diesen Zahlen beschäftigen). Hätte ich in Mathe besser aufgepasst, könnte ich schnell eine Prozentzahl aus dem Ärmel schütteln. Ich meine, das ist weniger als ein Prozent.

In China war ich Ausländer und wäre es auch für den Rest meines Lebens geblieben, auch wenn ich und meine Freunde in der ein oder anderen Situation auch mal vergessen haben, dass ich anders aussehe und spreche.

Ich werde nie vergessen, dass bei dem zweiten Besuch meiner Freundin (jetzt Frau) in Deutschland im Ort Dörfel ein Flüchtlingsheim brannte. Zu Weihnachten. Das wurde gefühlt auch nicht groß besprochen. Wahrscheinlich dumme „Jungen-Streiche“. Wahrscheinlich einer, der sonst einer geregelten Arbeit nachgeht und doch sonst sein Ding macht. Oder halt mehrere. „Das nimmt aber auch Überhand mit den Ausländern.“ (Ausländeranteil im Erzgebirge 1% oder so)

Ich erinnere mich noch, wie ein Kommilitone, ein Austauschstudent aus China in Zwickau beim gemeinsamen Maultaschenkochenzusammenbauen fragt ‚warum an dem einen Tag jemand aus dem Fenster einen Eimer Wasser auf ihn geleert habe?’.

In einer anderen Ecke Deutschlands vor dem ‚Heimflug‘ nach Shanghai schreit ein dicklicher Fahrradfahrer um 8 Uhr am Morgen, dass ich ein Verlierer bin und wohl nix in Deutschland gefunden habe mit meiner Taiwanesischen Freundin. Das ist jetzt 6 Jahre oder so her, aber immer noch in meinem Hinterkopf. Ich glaube nicht, dass er sich noch daran erinnert. Nicht weniger glaube ich, dass die Rechtswähler aus meiner Geburtsheimat Frankfurt ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder sich daran erinnern. Es ist eben vieles Hören-Sagen. Ich glaube, hätte das jemand aus oder um Frankfurt gesehen, hätte er vielleicht etwas gesagt. Diesen Glauben habe ich im Erzgebirge nicht.

Die Arbeitsmarktsituation mag schlecht sein. Ich weiß es nicht, doch ich bezweifle die Ausländer und/oder Einwanderer haben daran Schuld. Wäre ja schlimm, dass jemand, der nur wenig oder kein Deutsch spricht und der auch ‚kulturfern‘ ist, einem die Arbeit wegnimmt. Ne, das ist absurd.

Ich bin nicht so geschockt, weil diese braune Kacke immer schon da war. Unterschwellig. Überall. Bei Dorffesten wusste man, dass zu irgendeinem Zeitpunkt die hohlen Köpfe kommen und es Schlägereien gibt: höhere Wahrscheinlichkeit je höher der Alkoholspiegel. Selbst als Fan der harten Musik (Hardcore, Metal und Punk), wo normalerweise eine liberale, wenn nicht sogar ‚linke‘ Denkweise (per Definition und Ursprung dieser Musikstile) vorhanden sein müsste, wurde dieser Bereich unterwandert. Zu Anfang war es extrem leicht herauszufinden, wer die Idioten sind. Es war einfach (den von britischen Skinheads abgeschauten) Glatzkopf zu erkennen und dann auszugrenzen oder nicht einzulassen. In einer Subkultur, in der Stärke, Männlichkeit und Energie nur so von der Bühne strömen, war der Einzug der Idioten nicht überraschend. Nur wenig später war es kaum noch möglich, die ’normalen‘ Fans von jenen Deppen zu unterscheiden. Subtil haben sich die neuen Nazis unter die normalen Konzertbesucher und in die Kultur gemischt.

Selbst bei einem Auftritt mit unserer Band damals hat ein kreisbekannter Depp den Hitlergruß am Ende von der Bühne zusammen mit anderen Bands zum Besten gegeben und somit ein paar Bilder und einen Abend ruiniert, wie viele zuvor. Der Kerl bewegt sich immer noch in der Subkultur und viele haben vergessen. Der macht bestimmt sonst auch sein Zeug und geht einer geregelten Arbeit nach…

In einer Gegend, in der man(n) ‚zu de Tschechen‘ fährt und damit meint, beim Vietnamesen gleich über der Grenze kopierte CDs und T-Shirts sowie Zigaretten zu kaufen und dann den Wagen volltankt und sonst recht wenig Kontakt mit Menschen anderer Länder und Hautfarbe hat, hört man doch öfter rassistische Sprüche. In jeder Altersgruppe.

Vor ein paar Jahren besuchte ich das Lauterer Vugelbeerfest. Natürlich gibt es auch dort Rechtsradikale. Überall, man braucht gar nicht so weit zu schauen, vielleicht nur 2 bis 3 Biertischgarnituren weiter. Vielleicht steht so eine Gruppe gleich neben dir. Viele scheint das nicht zu stören. Viele wissen es vielleicht auch nicht und viele wollen es auch nicht sehen, weil… das sind doch nette Jungs, die haben doch Arbeit…

Auf besagtem Vugelbeerfest diskutierte ich mit einem Abikumpel. Wir hatten Rechte in der Klasse, konnten aber gut über die und deren Verhalten lachen. In der Mittelschule zuvor war das anders, da prägten die rechtsradikalen Pappenheimer schon eine größere Menge an Kids. Egal – Mein Kumpel, hochintelligent, geschichtsinteressiert, flirtete damals auch ab und zu mit konservativen bis rechten Ideen. Einige in seinem Freundeskreis tun das immer noch. Ich bilde mir womöglich ein, dass es so schlimm im Erzgebirge ist. Es ist doch nicht mehr so wie früher. Als wir das sagen, läuft so ein rechtsradikaler Kamerad (rote Yakuza Jacke) an uns vorbei und auf eine Gruppe eher martialisch gekleidete Kameraden zu und hebt den Arm. Zum Gruß. So wie man es nicht macht. So wie es strafbar ist. Hunderte Menschen drumherum. Viele sahen es. Keiner sagte etwas. Es darf nicht sein, was nicht sein soll. Das sind doch gute Jungs. Ich schaute meinen Freund an und meinte, genau das ist es, was ich meine. Einer der vielen Gründe warum ich nicht mehr im Erzgebirge lebe, nicht weil ich das nicht aushalte, ich halte es nicht für andere aus. Ich fühlte mich klein, unverstanden und sah scheinbar Dinge, die andere nicht sehen.

Noch immer ist das Erzgebirge wunderschön. Es gibt dort großartige und tolle Menschen. Die etwas ändern. Es muss sich was ändern. Das klappt nicht mit Wasser auf den Kopf, noch weniger mit dem Hitlergruß (weder in China noch sonstwo) doch mit einer Stimme: der Stimme für eure Freunde, für Menschlichkeit, ein gutes Zusammenleben und vielleicht auch einem Blick über den Tellerrand. Auf jeden Fall klappt es mit Kontakt zu Andersdenkenden und mit weit geöffneten Augen. Es gibt und gab die Pappenheimer und wer wegschaut oder nicht hinschaut, macht das wunderschöne Erzgebirge nur unattraktiver für eine Gegend, die auf Fachkräfte und Akademiker angewiesen ist, ja diese braucht. Zwingend.

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