Entfremdung von einer Gemeinschaft

Innerhalb kurzer Zeit hat eine Gemeinschaft die Bedeutung in meinem Leben verloren und die Geschichte, die sie mit mir teilt, verleugnet.

Mein Leben lang war ich aktives Mitglied in verschiedenen Gemeindegruppierungen einer evangelisch-lutherischen Kirche im westlichen Erzgebirge. Als kleines Kind wurde ich von meiner Familie, die im Fall meiner weiblichen Verwandten 3-5 Mal pro Jahr, im Fall meiner männlichen Verwandten einmal im Jahr (Weihnachten) die Kirche besuchte, in den Kindergottesdienst geschickt, in den ich gerne ging. Ich spielte, seit ich vier oder fünf bin, beim Mettenspiel zu Weihnachten mit, erst als kleiner, dann als großer Hirte und schließlich als Joseph. „Meine“ Maria und ich überlegten manchmal bei den Proben, wie es wäre, wenn ich als Mann das Jesuskind halten würde und lachten, dass das wohl in unserer konservativen Gemeinde unmöglich wäre. Später spielte ich über 10 Jahre im Flötenkreis, besuchte Christenlehre, Konfirmandenunterricht und war in der Jungen Gemeinde langjähriges Mitglied, organisierte Andachten, Rüstzeiten, Kuchenbasare. Als Teenager begann ich dann sogar mit dem Lektorendienst, also las im regulären Gottesdienst Bibelstellen vor der Gemeinde vor.

Als ich mit 18 das Erzgebirge für das Studium verließ, begann auch mein Outing-Prozess. Obwohl ich schon in der 6., 7. Klasse wusste, dass ich schwul war, konnte ich es erst mit dem Abstand zum Erzgebirge Stück für Stück öffentlich machen. Nach einigen Jahren konnte ich nach und nach mit verschiedenen Familienmitgliedern darüber sprechen. Für einige war es gar kein Problem, andere brauchten nach dem Schock einige Jahre, aber mittlerweile sind alle sehr positiv eingestellt und freuen sich auf die Hochzeit nächstes Jahr zwischen meinem Freund und mir. Mit ihm bin ich seit 2020 sehr glücklich zusammen.

Dass Kirche und Homosexualität nicht ohne weiteres zusammenpassen, wusste ich und obwohl das ja vor allem auf die katholische Kirche zutrifft, konnte ich mir vorstellen, dass eine kirchliche Heirat nicht ohne Hindernisse möglich sein würde. Andererseits war ich der Meinung, dass da mit einigen Gesprächen doch „ein Weg rangehen“ sollte.

Die verschiedenen Meinungen traten das erste Mal 2022 zu Tage, als ein Prediger aus einer fundamentalistischen Vereinigung namens Kaleb aus Chemnitz einen Gottesdienst in meiner Heimatkirche vertretungsweise hielt. Er verbreitete Verschwörungstheorien rund um die Abschaffung des Paragraphen 219a, arbeitete sich aber auch an der Ehe für alle ab. Meine Familie und ich gingen bestürzt aus dem Gottesdienst, und ich sah mich dazu veranlasst, eine Reaktion an den Kirchenvorstand und Pfarrer zu schreiben, in der ich auch seine Meinung zum Thema Trauung von homosexuellen Paaren erfragen wollte.

Nachdem das Thema in einer Vorstandssitzung diskutiert wurde und der Kirchenvorstand in dieser Frage gespalten war, luden mich zwei Mitglieder des KV ein, einen Infoabend zum Thema Homosexualität und Kirche zu halten. Da ich allerdings das Gefühl hatte, mein Privatleben schon genug der Öffentlichkeit preiszugeben, war ich erst skeptisch. Da aber die Möglichkeit bestand, für mich und für andere homosexuelle Paare in Zukunft eine Trauung zu ermöglichen (denn bis dato gab es noch keine einzige solche Trauung in dieser Kirchgemeinde), willigte ich schließlich ein.

Ich bereitete also Informationen zur allgemeinen Situation von queeren Menschen in Deutschland, Sachsen und dem Erzgebirge vor, verwies auf verschiedene Studien wie die Lebenslagenstudie von 2022 und über Probleme der Sichtbarkeit. Ich wollte schließlich zeigen, dass es auch im ERZ viele queere Menschen gibt, die für einige aber nicht sichtbar sind. Dann zeigte ich, wie die Kirche bisher mit homosexuellen Paaren umgegangen ist und welche Prämissen die Landeskirche beschlossen hat.

Die Sitzung war schließlich gut besucht und viele zeigten sich grundsätzlich offen für das Thema. Der Pfarrer aber sah einen grundlegenden Widerspruch zwischen schwuler, lesbischer oder queerer Liebe und dem christlichen Glauben. Schließlich würden einer solche Ehe nicht der Fortpflanzung dienen. Deswegen kommt für ihn weder eine Trauung noch Segnung in Frage. Das wäre, so der Pfarrer, aber keine Diskriminierung, lediglich eine Andersbehandlung. Einige Kirchenvorstände erzählten, dass sie bereits Menschen durch Gebete von Homosexualität „geheilt“ hätten, was natürlich ein schlimmer Irrglaube ist. Andere meinten, sie würden dafür sorgen, dass der Kirchenchor nicht singt, wenn ein schwules Paar getraut wird. Andere Menschen in der Runde solidarisierten sich aber auch mit mir und queeren Gemeindemitgliedern. Alles in allem war dieser Infoabend sehr niederschmetternd, da man der homophoben Haltung des Pfarrers und einiger Kirchenvorstände, die sich letztlich alle der Meinung des Pfarrers beugten, keine logischen Argumente entgegensetzen konnte, die akzeptiert wurden.

Andererseits war ich froh, mich der Situation gestellt zu haben und mir die Sachen „ins Gesicht sagen zu lassen“, aber auch teilweise Unterstützung zu erfahren. Die Entscheidung wurde mir somit leicht gemacht, nicht mehr dieser Gemeinschaft angehören zu wollen, mit der ich in meiner Kindheit und Jugend soviel teilte, die mir aber in der Gegenwart mit Ablehnung entgegenstand. Unsere freie Trauung wird, obwohl wir nicht mehr hier wohnen, im Erzgebirge stattfinden, weil ich und mein Freund viel mit dieser Region verbinden. Es ist aber wichtig anzuerkennen, dass das kirchliche Erzgebirge oder die erzgebirgische Kirche Menschen systematisch ausgrenzen. Und dass in einer Zeit, in der die evangelische Kirche pro Jahr 380 000 Menschen verlassen (Stand 2022).

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2 Kommentare zu „Entfremdung von einer Gemeinschaft“

  1. jahreszeitenbriefe

    Lieber Hannes, das alles ist so unfassbar… Bin immer wieder erschüttert so etwas zu lesen. Ich wünsche dir und deinem Freund alles alles Gute auf eurem Weg. Ghislana

  2. Lieber Hannes, es tut mir leid, dass du solche verletzenden Erfahrungen machen musstest. Was du beschreibst, ist einer der Fakten, die mich an meiner Landeskirche immer wieder schmerzen. Ich wünsche dir und deinem Mann von Herzen Gottes Segen für euer gemeinsames Leben.

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