“Du bist doch kein Baum” – eine Anleitung aktiv zu werden!

Das Erzgebirge ist wunderschön. Ich kann mich gut daran erinnern, kurioserweise immer von den Wäldern und meinem Heimatdorf geträumt zu haben. Geträumt habe ich tausende Kilometer entfernt. Aus einer Großstadt. Shanghai. Ich habe mich selten so frei gefühlt, wie in dem Moment in dem ich mit einer Jeans, drei Hemden, Unterwäsche und etwa 1000 Euro auf dem Konto dort ankam. Es kamen Menschen zu Besuch. Tolle Menschen aus dem Erzgebirge und das hat auch immer wieder Hoffnung und Sehnsucht nach der Heimat geweckt.

“Heimat ist kein Ort. Heimat ist ein Gefühl”, hat Grönemeyer gesagt und so waren die Träume auch nur Gefühle. Die Realität hatte mich nach acht Jahren China wieder. Das Erzgebirge hatte mich wieder und trotz der Vorbereitung auf Positives wie Negatives gab es immer wieder Geschehnisse, die sich befremdlich anfühlten. Einmal fragte eine Personalbeauftragte (das erfuhr ich durch befreundete Menschen im Unternehmen), ob es denn überhaupt okay ist, wenn ich Holocaust-Erinnerungen auf Facebook poste. Die gleiche Personalbeauftragte fand es auch okay, wenn sie und ihre Freunde/Bekannten in Weltkriegsuniformen beim Fasching auflaufen. Ich weiß nicht ob ein Hitlerkostüm dabei war, aber auch das wäre befremdlich, nicht jedoch verwunderlich.

Meine Politisierung ging recht zeitig los und fand vor allem durch Musik eine Vertiefung. Hardcore, Punk und Metal waren schon immer politisch und da fühlte ich mich fast immer wohl, was nicht für die Straßen am Abend im Erzgebirge galt. Politik war aber auch bis in die Zwanziger etwas fremd. Mit dem Aufstreben der Alternative gegen Deutschland, wurde mir mehr und mehr bewusst, etwas tun zu müssen. Irgendwie. Ich habe Freunde die schon lange politisch aktiv waren. Für mich galt erstmal nach der Rückkehr aus dem Ausland zu streuen, dass China nicht ist, was viele Denken. Dass einen Vielfalt und unterschiedliche Erfahrungen voranbringen und zukunftsgewandt sind.

Das Erzgebirge war nach meiner Rückkehr verändert. Alle jungen Freunde und Freundinnen gründeten Familien. Die Häuser wurden von den Eltern oder Großeltern geerbt oder man hat diese mit viel Eigenleistung zu schönen Orten gemacht. Straßen waren asphaltiert. Alle Häuser in bunten oder weniger bunten, aber neuen Anstrichen. Relativ neue Autos für fast jedes Familienmitglied vor der Tür. Braucht man auch tatsächlich im Erzgebirge. Die Busse fahren nicht mehr so regelmäßig, wie zu meiner Jugend.

Es geht den Menschen dort gut. Sehr gut. Gehälter passen zum größten Teil und man hat immer Menschen, die bei handwerklichen Sachen helfen können. Die “erarbeiteten” Habseligkeiten werden vehement verteidigt. Gegen unsichtbare Gefahren werden Ängste werden davor geschürt, sich eventuell irgendwann einmal für eine solidarische Zusammenarbeit, für die Kinder und den Planeten einzuschränken. “Geht nicht!”, “Die spinne wohl?” und “Früher haben wir sowas nicht gehabt” sind Allzweckwaffen, um sich die Komplexität der Welt einfacher erklären zu wollen

Ich kam klar. Es war okay. Ich kann sprechen und widerspreche auch, wenn mich etwas stört. Es bedarf aber viel mehr. Wenn man seine Stimme noch anderen, die sich nicht (oder nur beschwerlich) äußern können, leihen muss und für diese mitkämpft, wird es immer schwerer. Für mich irgendwann zu schwer und damit die Entscheidung, wegzuziehen. “Ich bin doch kein Baum!” war mein Moment der Realisation, dass ich nicht dort leben muss, um weiter aktiv zu sein und immer noch Freude an der Natur und den Menschen dort zu haben. Ein sehr großer Teil ist nämlich liebenswert und großartig. Der Braindrain, die Abwanderung der Jugend und fehlende politische Bildung haben Gräben gerissen.

Heute bin ich Mitglied bei den Grünen. Tagtäglich beschäftigen mich Themen der Zukunft und ich widerspreche immer noch, wenn es mir zu doof wird. Noch besser ist es aber vor Ort. Im Erzgebirge aktiv zu werden. Ich habe begriffen, dass ich kein Baum bin und deshalb meinen Standort verändern kann, meinen Wohnort frei wechseln kann. Der Einheitsnadelwald Erzgebirge braucht aber auch tiefe Wurzeln und eine Vielfalt an Laubbäumen, um dauerhaft zu überstehen. Und vielleicht sind manche Menschen mehr Baum als ich und können mit ihren Wurzeln einen stabilen Wald im Erzgebirge festigen. Weiter und mehr aktiv sein. Vor Ort. Mitmachen und den rechtsextremen Nasen nicht die Monokultur zu überlassen. Die geht sonst irgendwann kaputt.

Heimat ist vielleicht ein Ort. Vielleicht auch mehr ein Gefühl. Werde aktiv! Widersprich in der Familie, wenn Quatsch geteilt wird und werde aktiv oder ziehe halt weg, aber gib nicht auf! Wir sind mehr als Bäume, aber wir brauchen Bäume mehr als Bäume uns.

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4 Kommentare zu „“Du bist doch kein Baum” – eine Anleitung aktiv zu werden!“

  1. Hallo Björn und alle, die hier mitlesen. Ich kann es einfach nicht unkommentiert lassen, da sind für mich zu viele Widersprüche drin. Natürlich ist es klasse, dass du bei den Grünen bist und auch deine Meinung vertrittst und versuchst, manchen Unsinn gerade zu rücken. Aber eben aus der Ferne und das ist das Hauptproblem. Offenbar waren deine Wurzeln noch nicht tief genug und du hast das „Umsetzen“ gut überstanden, bei einem richtigen Baum hätte es da vielleicht Probleme gegeben.

    Und es ist toll für uns Grüne im Erzgebirge, wenn wir von außerhalb finanzielle Unterstützung erhalten, ohne die unsere Arbeit hier gar nicht möglich wäre. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass uns schlicht das Personal vor Ort fehlt, um aktive Politik zu machen. Ein harter Kern von maximal 25 Leuten soll den ganzen Erzgebirgskreis bespielen, wie stellt ihr euch das vor? Wir haben Probleme, bei Wahlen überhaupt eine Liste zu erstellen mit Leuten, die gewählt werden wollen und können. Was nützen uns dann die ganzen Unterstützer außerhalb? Als Einzelkämpferin für den Stadtrat hatte ich nicht den Hauch einer Chance. Und da das Durchschnittsalter bei uns Grünen auch nicht unbedingt bei 20+ liegt, was meinst du, wie oft wir kandidieren können?

    Jeder junge Mensch, der hier weggeht, wird viele Gründe finden, warum er es hier nicht mehr aushält und warum es politisch korrekt ist, lieber in der großen Stadt für die „alte Heimat“ zu kämpfen – letztlich ist es einfach nur bequemer aus vielerlei Gründen. Aber jeder junge Mensch hinterlässt dann auch ideologisch eine Lücke, die die AfD nur zu gerne füllt. Und was auch nicht so oft zur Sprache kommt: auch für die dann nächste Generation, also eure Kinder, fehlen dann die Vorbilder. Hier wachsen die nächsten in dem Wissen heran, dass AfD normal ist, weil ihnen keiner was anderes vorlebt. Und wenn genug Leute das normal finden und ihr Kreuz bei der nächsten Wahl dann tatsächlich dort setzen, dann wird es Allianzen geben, weil dieses Land sonst gar nicht mehr regiert werden kann oder schlimmstenfalls nur noch von denen. Dann sind auch die schönen städtischen Blasen nicht mehr bequem und sicher.

    Und deshalb ist für mich dein Ratschlag „ziehe halt weg, aber gib nicht auf“ genau das – nämlich aufgeben, zumindest das ach so wunderschöne, aber blau verseuchte Erzgebirge.

    1. Vielen lieben Dank für die Antwort Ramona.

      Ich verstehe dich und will ja gar nicht dafür werben, dass das Wegziehen die richtige Option ist. Für mich war es die. Vor allem, weil ich halt auf mich alleine aufpassen kann, aber tatsächlich nicht auf eine ausländisch aussehende Frau und ein gemischtes Kind. Alleine wäre ich noch im Erzgebirge.

      Ich spreche auch nicht für „die Grünen aus der Stadt/Ferne“, denn klar bedarf es mehr als ein wenig Unterstützung aus der Ferne und den 25 Kernleuten im Erzgebirge. Das müssen weitaus mehr werden und da sollten wir Allianzen bilden, sichtbar bleiben und die Beiträge hier beziehungsweise der Blog sind doch ein Beitrag.

      Die politische Entwicklung im Erzgebirge ist ja auch nicht erst seit gestern so und ja, Verstärkung die vielleicht von außerhalb anreist und nicht aus dem Erzgebirge kommt wird es noch schwerer haben bei den Menschen vor Ort anzukommen.

      Es war tatsächlich in meinem Fall eine Aufgabe. Ich kann das nicht. Selber bedroht werden geht schon klar, aber ich kann das nicht für meine Frau mitgetragen. Hinzu kommt dass wir wenig bis keine Familie mehr dort haben. Zurück im Erzgebirge vor ein paar Jahren haben mich die Wahlen dort veranlasst wieder zu gehen. Ich sehe die Zukunft im Erzgebirge und Sachsen tatsächlich auch nicht besonders positiv. Ich war ja alleine schon ein Außenseiter, der zwar überall dabei war, der aber eben „komische“ Ansichten hat, wie hätte ich denn ohne weitere Menschen als politische Unterstützer bestehen können? Auch mir hätten die 25 Leute nicht gereicht. Wir werden ja als Grüne nicht als Option wahrgenommen sondern als Feindbild. Das ändern die 25 Menschen im Erzgebirge nicht, auch 1000 würden dazu nicht im Stande sein.

      Bildung, Gespräche, Angebote, Antworten und Zeit. Ich möchte das Menschen sprechen. Miteinander reden und eben Teilen was geschieht. Tatsächlich das „Gute“ unterstützen und sei es mit einem Kommentar, mit dem Vorbeikommen bei einer Veranstaltung, mit Widerspruch bei Familienfeiern etc.

      Es tut mir Leid dich nicht als im Erzgebirge lebender Mensch unterstützen zu können, aber das heißt nicht das wir nicht viel mehr miteinander teilen als die blau-braun verseuchten Mitbewohner des Erzgebirges. Danke nochmal für deinen Kommentar, dem ich sehr zustimme und auf bald mal wieder auch im echten Leben.

      1. Vielen Dank für die ehrliche und ausführliche Antwort Björn.
        Ich kann deine Gründe gut nachvollziehen, jeder von uns will seine Familie schützen und ja, der Blog soll ja auch eine Möglichkeit bieten, um ins Gespräch zu kommen.

        Und deshalb nun doch noch eine Frage, die mir wichtig erscheint in diesem Zusammenhang. Dort wo ihr jetzt wohnt, fühlt ihr euch besser angekommen, sprich integriert und akzeptiert oder seid ihr einfach nur unsichtbarer und damit sicherer, weil es eine größere Anzahl von Leuten mit Migrationshintergrund oder eben „Komischsein“ (das sind wir ja alle auf die eine oder andere Weise) gibt?

        Denn wenn wir über Integration sprechen, ist es ja nicht damit getan, jemanden in der Masse unauffällig werden zu lassen, das hat ja nichts mit Teilhabe zu tun. In unserer Kleinstadt gab und gibt es ausländische MitbürgerInnen, aber außer blöd angucken sind keine Vorkommnisse bekannt. Was aber ja nichts heißen muss, da eben trotzdem keiner weiß, wie die Leute selbst das empfinden und es immer noch kaum Angebote gibt, das nach außen kund zu tun.

        Dir und deiner Familie alles Gute und herzliche Grüße von Ramona

        1. Sehr, sehr gerne! Vielen lieben Dank!

          Das ist eine sehr gute Frage. Ich hatte bisher nicht darüber nachgedacht. Anonymität in einer größeren Stadt (Leipzig) spielt schon eine Rolle, aber ist nicht der Hauptgrund.

          Wir lachen manchmal darüber, dass wir uns wie in Shanghai fühlen. Hier gibt es eben (mehr) englischsprachige Angebote, was mir und meiner Frau gefällt. Wir haben internationale Freundeskreise mit einem mexikanischen Paar, aber auch Australier, Briten usw., dass hätten wir im Gebirge nicht. Auch die Behördengänge waren viel einfacher und der Zugang fiel leichter. Mittlerweile klappt es auch mit dem Deutsch besser und ja, so sind wir da besser und wirklich integriert worden.

          Sprachkenntnisse und die Offenheit auch mit einem Nicht-Muttersprachler zu reden finden wir hier halt auch öfter.

          Hätten wir das Untertauchen in einer Stadt mit mehr Migration gesucht (und das wäre auch möglich gewesen) wären wir vielleicht in Berlin, München, Hamburg oder Frankfurt, aber genau da, hat eben das nicht aufgeben wollen eine Rolle gespielt, um doch noch in Sachsen etwas zu bewegen. Sei es im Job, mit Comedy, Musik oder der Politik.

          Nochmal liebe Grüße und vielen herzlichen Dank für deine Kommentare und auf bald!

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